Nikolaus Meyer, 2003

BILDWERK HANISCH

…ein Blick in die Vergangenheit lehrt, dass die Bewertung von Kunst eine überaus subtile, vor allem aber subjektive Angelegenheit ist. Erinnert sei nur an den umstrittenen Maler und Objektkünstler Joseph Beuys oder die erste Gruppenausstellung impressionistischer Maler im Jahre 1874 in Paris, die seinerzeit von der Kritik gnadenlos zerrissen wurde. Die Abkehr vom Historienbild, die Vernachlässigung der Zentralperspektive und die Auflösung der Formen durch die so genannten Freiluftmaler wurden als Skandal empfunden- und der französische Impressionismus kämpfte jahrelang mühsam um seine Anerkennung. Heute würde man sich glücklich schätzen, könnte man einen der damals in Ungnade gefallenen Renoir, Monet oder Cezanne sein eigen nennen.

 

(Van Gogh) Unterschiedliche Maßstäbe und der Einfluss des jeweiligen Zeitgeschmacks werfen also die Frage auf, was Kunst eigentlich ausmacht und wie sich der Begriff am treffensten definieren lässt?

 

Der Philosoph Friedrich Nietzsche interpretierte Kunst als „mitgeteilte Lust und Kommunikation“. Der russische Schriftsteller Leo Tolstoi umschrieb sie mit den Worten: „Kunst ist Intuition in hohem Maße“. Pessimistischer, aber auch passender zu Joachim Hanischs Arbeiten, äußerte sich der österreichische Maler Gottfried Helnwein, der Kunst als „einzige Freiheit, die uns noch geblieben ist“ bezeichnete.

 

Einen wesentlichen Aspekt steuerte der Schweizer Maler und Feuerbachfreund Arnold Böcklin bei, der seine Ansprüche an die Malerei in dem bemerkenswerten Zitat zusammenfasst:

 

„Ein Bild muss etwas erzählen,

dem Betrachter zu denken geben wie eine Dichtung

und einen Eindruck hinterlassen wie ein Musikstück“

 

Wie recht er damit hatte, bewiesen große Künstler vor und nach ihm. Symbolisten und Surrealisten beispielsweise malten im herkömmlichen Sinne vielleicht nicht schön, aber immer interessant und bewahrten so dauerhaft ihr künstlerisches Erbe.

 

Die Arbeiten von Joe Hanisch schließen nahtlos an diese Tradition einer stiltreuen und qualitätsorientierten Malerei an. Der Künstler nimmt sich Freiheit zu malen, was er empfindet, und nicht- was andere gerne sehen möchten.

 

Joe Hanischs Begabung kristallisierte sich bereits im Kindesalter heraus. Als Siebenjähriger lag er fast ein halbes Jahr im Krankenhaus und hatte viel Zeit, Kinderbücher zum Lesen. Vor allem die faszinierende Welt der Bilder übte eine magische Anziehungskraft auf ihn aus. Er fing selbst an zu zeichnen und kam schon in jungen Jahren zu der Einsicht: Das liegt mir, das macht mir Freude, das kann ich, ich werde einmal Künstler! Der weitere Lebensweg bestätigt diese frühe Erkenntnis.

 

Es kam die Zeit von Pink Floyd und anderen Pop-Ikonen, die der inzwischen jugendliche Joe zwar mit Leidenschaft, aber noch ohne Anspruch auf eine künstlerische Aussage porträtierte. Er versuchte sich im Designerbereich und bewies auch im Umgang mit Nadel und Faden erstaunliches Geschick. In seiner Sturm- und Drangzeit stickte Joe Hanisch Protestmotive auf Jeans und sein Kunstlehrer am Frankenthaler Karolinen-Gymnasium zeigt sich nicht nur dadurch von seinem Talent sehr angetan.

 

Zwei Bemerkungen des Pädagogen hatten eine nachhaltige Wirkung. Die eine, „er kanns“, war positiv. Die andere, „wenn Hanisch nicht so faul wäre, könnte etwas aus ihm werden“, hörte sich weniger schmeichelhaft an. Motiviert haben ihn beide Aussagen. Die erste war eine gern gehörte Bestätigung des eigenen Könnens, während der Vorwurf der Faulheit eine Trotzreaktion auslöste und positive Energien freisetzte. Der weitere Weg war nun klar vorgezeichnet.

 

Dem Abitur folgte das Studium der Bildenden Kunst und Biologie an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Referendarzeit, 2. Staatsexamen und eine Tätigkeit als Lehrer für Bildende Kunst am Theodor-Heuss-Gymnasium in Ludwigshafen schlossen sich an. Heute wirkt Joe Hanisch als Fachlehrer für Bildende Kunst am Staatlichen Studienseminar für Gymnasien in Speyer.

 

Erstmals ausgestellt hat der Künstler im eigenen Atelier während den Frankenthaler Kulturtagen im Jahre 1999. Schon damals häuften sich die Stimmen, dass eigentlich unfassbar sei, was hier an künstlerischem Potenzial im Verborgenen schlummerte. Es war schließlich die positive Presse, die ihn ermutigte, seine Arbeiten künftig in einem größeren Rahmen zu präsentieren.

 

Joe Hanischs Zeichnungen entstehen in einer unglaublich anmutenden akribischen Detailarbeit. Die Ergebnisse haben schon fast fotorealistischen Charakter. Ich erinnere mich noch gut an die Speyerer Kulturnacht 2001. Acht Künstler malten auf meine Einladung hin in der Eichbaum-Galerie coram publico, alles bekannte Namen, aber wie kein anderer fesselte Joe Hanisch die Aufmerksamkeit der Besucher, als er den Malgrund Millimeter um Millimeter mit seinen Schraffuren und Linien füllte und sich aus einem scheinbar sinnlosen, maschenartigen Netzwerk, allmählich die ersten Konturen heraus kristallisierten.

 

Als Malgrund verwendet Joe Hanisch in den meisten Fällen einen dicken, einseitig glatt kaschierten Plakatkarton, auf den er Batikpigmente aufträgt, anfeuchtet und einreibt. Durch mehrfache Wiederholung dieses Vorganges entsteht ein bewegt modellierter Hintergrund, der als Ausgangsbasis für die künstlerische Gestaltung dient. Die Batikfarben bestimmen auch den grundsätzlichen Farbcharakter der Flächen, der durch Abschleifen einzelner Pigmentschichten noch differenziert wird und dadurch an Tiefe und Plastizität gewinnt. Ergänzend zum Batikhintergrund folgt in Teilbereichen eine zweite Schicht aus normalen Pigmenten, die mit Acrylbinder auf dem Batikgrund fixiert und durch den Einsatz von Gewebe oder Geflecht eine gewebte Textur erhält. Ein Kuriosum stellt zweifellos die fallweise Verwendung von Lasuren dar, wie sie in der Schuhpflege zur Anwendung kommen. In der Regel leicht mit dem Schwamm aufgetupft, bilden die Lanolin enthaltenen Lasuren einen interessanten, marmorisierenden Effekt.

Am Ende dieser Arbeitsphasen stehen fleckige, scheinbar sich auflösende Strukturen, in denen Joe Hanisch mit Fineliner, Kugelschreiber, Folien- oder Buntstift morbide Szenarien, labyrinthartige Kulissen, surrealistisch anmutende Inszenierungen zu scheinbarem Leben erweckt. Farbige Kreuzschraffuren und Linienscharen gehen dabei ein millimetergenaues Beziehungsgeflecht ein, wobei die etwas kräftige Linienführung der Folienstifte die expressive Wirkung der Aussage noch unterstreicht.

 

Bei seinen Werken in Mischtechnik gewinnen neben Fläche und Linie neuerdings auch impressionistische Ansätze in Form von zart schillernden Farbpartien an Bedeutung. Perfektes handwerkliches Können, die Liebe zum Detail, unendliche Geduld und eine subtile Fantasie lassen beeindruckende Kunstwerke entstehen, die selbst in namhaften Galerien vieler Großstädte keinen Vergleich scheuen müssten.

 

Wie kaum ein anderer assoziiert Joe Hanisch die Intention von Arnold Böcklin. Seine Bilder erzählen Geschichten, aber es sind keine fröhlichen, sondern meist bedrückende Geschichten. Die meisten Motive, oftmals alptraumhafte Szenarien, lassen uns gedanklich innehalten und wer Kunst als Dekorationsware versteht, statt sich mit Inhalten auseinander zu setzen, der ist bei Joe Hanisch an der falschen Adresse.

 

Was seine Werke dagegen auszeichnet, ist ihre enorme innere Spannung und eine Aussagekraft, die ihresgleichen sucht. Hanischs Bilder spiegeln fantastische Realitäten, beziehungsweise in Ansätzen real gewordene Fantasien wieder, die unmerklich, aber ebenso unaufhörlich Teil unseres Lebens geworden sind. Als Ultima Ratio des hilflosen Individuums zeigen sie den bedrohten Menschen, sie klagen sie an, rütteln auf und regen immer wieder aufs Neue zur Diskussion an.

 

Der Künstler selbst ist ein Seelenmensch, der den Widrigkeiten dieser Welt seine künstlerischen Mittel und Möglichkeiten entgegensetzt. Dass er nicht ausweichen, nicht verdrängen will, wird in seinen Zeichnungen überaus deutlich sichtbar. Joe Hanisch zeigt uns die Folgen des ausschließlich naturwissenschaftlich orientierten Menschen, der mit scheinbarer Vernunft an die Dinge herangeht, sie zerlegt und glaubt, damit der Weisheit ein Stück näher zu kommen. Hanisch sieht eine gewisse Tragik darin, dass der Mensch sich ausschließlich seinem Ego verpflichtet fühlt, sich selbstgefällig präsentiert, ja inszeniert und in seiner Ignoranz nicht erkennt, dass  er auf gefährlichen Pfaden wandelt. Dass er in seinem Streben nach Fortschritt Grenzen auflöst und überschreitet.

 

Die Folgen scheinen eindeutig. Sie führen zur Abkapselung, in die Isolation. Und so zeigt uns Hanisch den Mensch auch, verkabelt, vernetzt, ausgesetzt im Labyrinth von Industrie- und Stadtlandschaften oder imaginären Architekturen. Ferngesteuert, fremd bestimmt, roboterhaft, ohne jegliche menschliche Regung, meist nur noch eine seelenlose Hülle in willfähriger Pose, wie dies besonders eindrucksvoll in den Bildern der Reihen „Capsula“ und „Logo Sapiens“ sichtbar wird.

In der Serie „Cocoons“ erfährt die Capsula-Reihe eindrucksvoll ihre Fortsetzung. Der Lebensraum, ein scheinbar alles umspannendes Gewölbe von nicht klar definierter Weite, wirkt bei näherem Hinsehen eher wie ein Kerker. Obwohl viele Menschen im Bild sind, sogar reihenweise miteinander verbunden, zusammengeschaltet über Röhren, Schläuche und Kabel, sind gegenseitige Beziehungen nur bei oberflächlicher Betrachtung auszumachen. Nur scheinbar offenbaren sich dem Betrachter Gemeinschaften, die real jedoch nicht existieren. Die Menschen wirken wie geklont, perfektioniert, seelenlos. Vergeblich sucht man nach individuellen Berührungspunkten, Gemeinsamkeiten, Geistesverwandtschaft, Solidarität, einem Wir-Gefühl. Genau das Gegenteil ist jedoch der Fall: Kein Geschöpf schaut das andere an, die eigene Identität ist abhanden gekommen, der Wert des Menschen als Individuum ist grundsätzlich infrage gestellt.

 

Unklar bleibt, ob sie in ihrer Ohnmacht die Bedrohung spüren, ob sie ihr Martyrium überhaupt wahrnehmen, ob sie noch in der Lage sind, auszubrechen. Hanisch lässt die Frage offen, ob es ihnen vielleicht gefällt, eingebettet zu sein in einen Cocoon, abgeschottet, nur durch Monitore mit der Außenwelt verbunden. Ist der Mensch bereits Gefangener seiner selbst geworden? Sklave einer von ihm erschaffenen Welt? Auch diese Frage lässt Joe Hanisch offen.

 

Der Künstler selbst spürt die Bedrohung und teilt uns seine Ängste auf expressive Weise in vier „Selbstporträts“ mit. Der 11. September, das genmanipulierte Klonschaf Dolly-, Krieg und Verwüstung, für Hanisch ist das Maß übervoll. Zorn baut sich auf, der Druck nimmt zu, eruptiv kommt Aufgestautes zum Ausbruch. Der Schrei im letzten Porträt symbolisiert die verzweifelte Hilflosigkeit einer gepeinigten Seele, führt zur Erkenntnis- so geht nicht es nicht weiter, ich muss etwas tun, muss anprangern, Flugblätter drucken, tausendfach verteilen! Doch der Blick ins eigene Ich offenbart eine andere, unbefriedigende Wahrheit: Alles Theorie, ich sitze nur im Atelier, still, erkenne meine Ohnmacht, zeichne weiter wie bisher und das Wissen, nicht zu revoltieren, nagt an mir. Der Ausbruch aus dem eigenen Körper über den Schrei bringt nur eine kurzzeitige Erlösung. Ich erkenne meine Hilflosigkeit gegenüber den Strömungen der Zeit und akzeptiere resignierend.

 

Meine Damen und Herren, sie spüren, die Kunst ist für Joe Hanisch ein gewaltiges Ventil, Emotionen abzubauen, zu kanalisieren, Gedanken zu materialisieren. Es gibt aber auch eine weitaus unbeschwertere Seite des Künstlers, und diesen anderen Joe Hanisch lernen wir in seinen Darstellungen älterer Menschen, in seinen Porträts „Lebenslinien“ kennen.

 

Er zeichnet sie nach Fotovorlagen mit fast einer zärtlichen Hochachtung und sie stehen ganz im Gegensatz zu den eben besprochenen, verlorenen Individuen. Die individuelle Persönlichkeit von Menschen, die den Zenit ihres Lebens überschritten haben, explizit heraus zu arbeiten, ist Joachim Hanisch ein besonderes Anliegen, Die wohl eindrucksvollste Symbolfigur für die besondere Würde und Erhabenheit der Porträtierten stellt seine Schwarze Madonna dar. Gesichter wie das ihre sind für den Künstler wie aussagekräftige Landschaften, in denen das Leben seine unverwechselbaren Spuren von Zeit und Vergänglichkeit, aber auch von Weisheit und geistigen Reichtum hinterlassen hat.

 

Wirklich Ruhe und Entspannung findet der Künstler inmitten seiner Kleinplastiken. Holz, Steine, Knochen und Glas, die meisten Fundstücke stammen von den Ufern des Rheins. Umgeben von unzähligen Exemplaren, ist der Künstler zufrieden, kann er eine kindliche Freude empfinden. Jedes einzelne Stück wird begutachtet und analysiert. Joe Hanisch probiert so lange, bis sie gedanklich zueinander finden und sich eine harmonische Figur heraus kristallisiert. Nachdem der Zahn der Zeit die ursprüngliche Form der Fundstücke meist schon mehr oder weniger veränderte, werden sie nun in einen völlig neuen Zusammenhang gestellt und so ein weiteres Mal verfremdet.

Joachim Hanischs Bilder spiegeln die Ängste des Menschen in einer fast körperlich spürbaren Intensität wieder.

 

 

hen Formprinzip von Veränderbarkeit und Metamophose in seinem Werk

identifiziert sich in selten erlebter Intensität mit den eigenen Arbeiten und lehnt Triviales kategorisch ab.

 Sie löste etwas in dem kleinen Joachim aus und setzte einen unaufhaltsamen Prozess in Gang.

Bei seiner ersten Ausstellung in der Kreissparkasse in Frankenthal im Jahre 2000 lernte ich den Künstler persönlich kennen. Mir war sofort klar, hier hast du weit mehr als einen Rohdiamanten entdeckt, dem du in der eigenen Galerie in Speyer eine Plattform bietest. Die Intention erwies sich als richtig, die Resonanz war überwältigend und die Ausstellung im Frühjahr 2001 wurde für den Künstler und die Galerie ein großer Erfolg.

Es ist nicht der schnelle, gleitende Pinselstrich, der vielen künstlern eigen ist,

um später von einer Explosion der Farben zu sprechen,

Man könnte den Bogen auch weiter zu Georgs Orwells Roman 1984 spannen.

Joachim Hanischs Bilder spiegeln die Ängste des Menschen in einer fast körperlich spürbaren Intensität wieder