D. Rüttger-Mickley, 2000

Bildwerk JOE Hanisch

Joe Hanisch leidet mit und an der Welt. Ausdruck dessen ist eine düstere Farbwahl, die sich gerne im braun-blauen Bereich bewegt. Weit entfernt von der derzeit trendigen, in Farben schwelgenden, plakativen Großflächenmalerei, knüpfen Hanischs Bilder an den Duktus alter Meister an. Kugelschreiber, schwarzer Filzstift und Buntstifte gehören zu seinem Handwerkszeug, das er virtuos zu handhaben versteht. Auf mit Batikfarbe grundiertem Plakatkarton entstehen detailfreudige Zeichnungen, die Aufmerksamkeit und Zeit vom Betrachter einfordern. Keine leichte Kost sind sie für das Auge und für den Verstand. Lassen seine Bilder ab und an auch Hoffnung aufschimmern, so steht doch bei allen der zeitlebens leidende, unfreie Mensch im Vordergrund. Seine Lebensstufen als Baby, als Erwachsener – meist eine Frau – und als alter Mensch durchziehen kontinuierlich Hanischs Werk.

 

 

Mensch

Joe Hanischs Menschen sind zu Gefangenen der von ihnen geschaffenen Welt geworden. Sichtbares Zeichen dieser Unfreiheit sind die den Leib einzwängenden Gürtel, ein Leib, den Hanisch oft als Torso darstellt. Das Menschsein ist für Hanisch bereits in großem Ausmaß reduziert. In Erstarrung befinden sich die Menschen der Capsula-Serie. Schläuche führen zu Ohren, zu Kopf und Mund. Von den Medien wird der Mensch mit Informationen versorgt und nach Bedarf gefüttert. Er muss nicht mehr selbst ins Leben treten, um seine Dinge zu regeln. Isoliert lebt der Mensch ein Leben aus zweiter Hand, verdeutlicht durch die Physiognomie einer Schaufensterpuppe. Anonymisiert und privatisiert kapselt er sich ein in einer Seifenblase und grenzt sich ab. In seiner Egomanie schwindet mit der Notwendigkeit auch die Fähigkeit, Kontakte zu haben. Jedes Individuum erscheint wie eine eigene Spezies. Manche Menschen  nehmen bereits maschinenhafte Züge an. Die linke Herzseite des Körpers ist zur Technik erstarrt, ebenso die Bewegungen. Die Zeit vergeht schnell. Während wir schlafen, nehmen die Dinge ihren Lauf, verselbständigen sich. Wie vieles, fragt Hanisch, nehmen wir noch hin, was muss noch geschehen, bis wir eingreifen? Der Mensch sitzt im Käfig. Schon das Baby ist unfrei, versehen mit einem Strichcode. Auch das kleine Hänschen ist Teil einer Maschinerie. Dem auf das Maschinenrad geflochtenen Körper spricht die Freiheitsstatue Hohn. Der Baum des Lebens schläft im Wintertraum. Seine Baumkrone erinnert an einen Atompilz. Wie wird das Erwachen aussehen?

 

 

Randgruppen

Besondere Zuneigung Hanischs gilt den Randgruppen unserer Gesellschaft. Den Alten, die man abschiebt, denen man nicht zuhört, die man nicht versteht. Der Turm zu Babel ist ein Zeichen des Generationenkonflikts, der Unfähigkeit, sich zu verständigen. Statt vom seinem Erfahrungsschatz zu profitieren, hört dem alten Mann keiner mehr zu. Als Symbol für alle Randgruppen steht  Hanischs „Schwarze Madonna“, die Mutter in der 3. Welt. Ihr wurde die Würde genommen. Die Frau an sich gehört nach Hanischs Ansicht zu den Menschen, die nicht den Platz in der Gesellschaft innehaben, der ihnen zusteht. Sie ist in ein Gehäuse eingezwängt. Aus dem Embryo wird eine Puppe. Die Frau sollte, nach Hanischs Verständnis, stärker akzeptiert werden. Was von der Natur sinnvoll erdacht wurde, gemeint ist das Sich ergänzen der Geschlechter, das Profitieren vom Anderssein des Partners, wird ins Negative gekehrt. Das Wesen der Frau wird nicht als Gewinn, sondern als Schwäche gewertet. Ihre Schenkel sind bei Hanisch zugleich neue Körper, denen sie das Leben zu schenken vermag.

 

 

Landschaften

Landschaften verknüpft Hanisch gerne mit Visionen. Im Hintergrund lässt er Städte und Gebäude erstehen, deren Bedeutung offen bleibt. Sind sie ein Hoffnungsschimmer am Horizont, eine Mahnung, eine Bedrohung? Hanisch arbeitet mit Buntstiften und gestempeltem Gewebe. Durch Schuhcreme erreicht er tiefe Abdunkelungen. Farbpigmente reibt er in den Untergrund ein. An die Turnersche Hand erinnert sein gleichnamiges „Gastspiel am Rhein“. Bewusst im Gegensatz zum eingekapselten, gefesselten Menschen steht eine harmlose Natur voller Schäfchenwolken. Der Torso Mensch wird nur noch künstlich zusammengehalten. Die Natur holt sich zurück, was der Mensch ihr nahm. Der Mensch bei Hanisch ist fragil, die Natur dagegen ist stark. Hanischs Landschaften neueren Datums vermitteln Stimmung und Schwere. Sie sind von einer großartigen Tiefe und beim ersten Hinsehen kaum von einem Druck zu unterscheiden. Ein sattes Dunkel erhält Hanisch durch die Grundierung mit Öl. Dadurch bleiben die Weißflächen sehr gut stehen und bilden einen entsprechend starken Kontrast.

 

 

Künstler

Wie andere vor ihm drückt Hanisch in seinen Bildern seine Angst, seine Verzweiflung und seine Resignation aus. Er gehört zu der Art bildender Künstler – und hier ist das Wort Künstler in seiner ursprünglichen Bedeutung, nämlich der des Respekts vor dem Können, vor der Meisterschaft, gebraucht – die ihrem Fühlen Gestalt verleihen, um das Leben bewältigen zu können. Wie fruchtlos Joachim Hanisch seine Bemühungen sieht, Veränderungen auslösen zu können, zeigt seine Darstellung des Künstlers als Sisyphos. Befangen und beeinflusst vom Zeitgeist ist jeder Mensch. So auch Hanisch selbst, wenn er sich in seiner Funktion als Lehrer darstellt, der seine Schüler in Kästchen nach den Größen S, M und L einsortiert. In

einer Leistungsgesellschaft wie dieser bleibt der Mensch auf der Strecke.